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Wo (k)ein Wille

Wo  (k)ein  Wille…

Da  (k)ein  Weg

 

Oder:

Wie in Penzberg zwei hundertjährigen Linden die Chance genommen wurde, ein Denkmal an die „Penzberger Mordnacht“   

vom 28. April 1945 zu werden.

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 Eine Dokumentation des Vereins für Denkmalpflege und Penzberger Stadtgeschichte

für den Bayerischen Rundfunk (BR) im April 2024

von Max Kapfer

 

  1.  April 2024:

Gedenkfeiern mit Wermutstropfen

 

Wenn in der ehemaligen Bergarbeiterstadt Penzberg am 28. April 2024  wie jedes Jahr des schwärzesten Tags seiner Geschichte gedacht wird, fällt zum ersten Mal seit 79 Jahren ein Wermutstropfen auf die Gedenkfeierlichkeiten an die sog. „Penzberger Mordnacht“, die bisher immer in parteiübergreifender Einheit und unter großer Anteilnahme der Bevölkerung begangen wurden.

16 Penzberger Bürger ermordet

 In jener berühmt-berüchtigt gewordenen Nacht wurden nur 30 Stunden vor dem Einmarsch der amerikanischen Armee von aufgehetzten Hitler-Werwolf-Schergen 16 Penzberger Bürger ermordet. Acht unschuldige Bürger, unter ihnen der damalige Bürgermeister Hans Rummer und überwiegend Kommunisten und Sozialdemokraten wurden standrechtlich erschossenund acht ebenfalls völlig unschuldige Männer und Frauen in der Stadtmitte an Balkonen und Bäumen grausam erhängt.

 

Zwei Tatort-Bäume gab es noch bis vor 4 Wochen

 

Und genau um jene Bäume, von denen bis vor kurzem noch zwei hundertjährige Linden als sog. „Tatort-Bäume‘“ in der Bahnhofstraße erhalten waren, entzündete sich eine unschöne Diskussion über 12 Monate, die darin gipfelte, dass die letzten zwei Bäume gefällt wurden, an denen die Mordopfer Albert Grauvogl und Sebastian Tauschinger erhängt wurden.

Grund: Der Bau-Ausschuss des Stadtrates hatte im April 2023 auf Empfehlung der städtischen Baumkontrolleurin gegen zwei Stimmen beschlossen, die Bäume wegen mangelnder Verkehrssicherheit fällen zu lassen. Nachdem es sich bei den beiden Bäumen nicht nur um „gewöhnliche“ Bäume handelte, sondern um historische Zeitzeugen, lief der Denkmalverein dagegen Sturm. Die Feststellung, dass die Bäume innen hohl seien, wollten die Denkmalschützer nicht als Grund für eine Fällung akzeptieren. Der Verein argumentierte, dass es zahlreiche uralte „hohle Linden“ gibt, deren Rinde das tragende Gerüst des Baumes ist. Das Kernholz jedes Baumes ist totes Material. Der Baum lebt durch die Rinde, die bei einem vitalen Baum weiter wächst und gegebenenfalls die Stützaufgabe des nicht mehr vorhandenen Baumkernes übernimmt. Außerdem produzieren 100jährige Bäume eine erhebliche Menge an Sauerstoff, die Nachpflanzungen erst nach Jahrzehnten erreichen.

 

Dieses Wissen sah der Denkmalverein durch die bei der Stadt in Lohn und Brot stehenden Baumkontrolleurin nicht hinreichend berücksichtigt, weswegen er ein Gutachten durch eine unabhängige Fachkraft verlangte. Dies wurde allerdings von der Stadt abgelehnt. Der Verein beschloss daraufhin, von sich aus eine Fachkraft zu bestellen und zu bezahlen. Frau Dr. Karla Melka-Müller, eine von der IHK München u. Obb. öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Baumpflege, Verkehrssicherheit von Bäumen und Baumwertermittlung – so ihr Titel – schien dem Verein die richtige  Person zu sein, nachdem diese die Stadt schon im Jahre 2005 bei der Neuordnung der Stadt vor der Fällung der 21 Kastanien in der Stadtmitte beraten hatte. Ganze 28 Arbeitstage allerdings brauchte der Bürgermeister, bis er am 21.12.2023 die Erlaubnis zur Begutachtung für die vom Denkmalverein auserkorene Fachkraft unterschrieben hatte.

 

Eine peinliche Veröffentlichung

 

Eine peinliche Überraschung für die Stadt kam durch die Bestellung unseres Gutachtens zu Tage. Zur ordnungsgemäßen Auftragsdurchführung benötigte die vom Denkmalverein beauftragte Frau Dr. Melka-Müller die bis dahin erstellten Gutachten über den historischen Baum. So bekam der Verein Kenntnis von einem Gutachten, das die Stadt bereits im Jahre 2013 in Auftrag gegeben hatte. Schon damals, vor 10 Jahren, wurde den Bäumen darin Standunsicherheit attestiert. Warum dieses Gutachten 10 Jahre lang ohne Bearbeitung in irgendeiner Schublade im Rathaus schlummerte, wird wohl immer ein Geheimnis bleiben. Fest steht, dass die Bürger 10 Jahre lang mit der „Gefahr in Verzug“ lebten. Jedenfalls überstanden die Bäume in der Innenstadt das schlimme Unwetter vom 12. Juli 2023, bei dem reihenweise andere Bäume im Stadtgebiet umfielen, ohne Schäden.

 

Durch den Wintereinbruch nach Weihnachten verzögerte sich die Begutachtung, die dann aber schließlich am 15. Februar durchgeführt wurde. Bereits nach fünf Tagen war das Gutachten von Karla Melka-Müller fertig. Im Grunde bestätigte es die Beurteilung „nicht bruchsicher“, „akute Bruchgefahr“ mit einer nicht unwesentlichen Einschränkung, die von der Stadt geflissentlich überlesen wurde. Da stand nämlich als Handlungsempfehlung aufgrund der historischen Würdigung der Bäume einmal „Erhalt mit Kronenkürzung möglich“ (eine ganz normale Baumpflege also) und beim anderen Baum „Erhalt mit baumsicherndem Metallgerüst“ möglich. Die Empfehlung zur Kronenkürzung wurde im Bauausschuss gar nicht diskutiert. Ein Metallgerüst sei in der Kürze der Zeit – angeblich drohte der Baum ja jede Minute umzufallen – nicht realisierbar, weshalb der Bau-Ausschuss am 20. Feb. 2024 seinen Beschluss zur Fällung vom Vorjahr aufrecht hielt.

 

In der Zwischenzeit wurde in vielen Leserbriefen das Für und Wider der Fällung lebhaft diskutiert. Befürworter der Fällung zweifelten das Alter der Bäume, den Standort und sogar die Namen der Mordopfer an. Bereits Ende September 2023 hatte ein Penzberger Bürger, Mitglied des Denkmalvereins – Herr Erich Sczepanski – um Überprüfung auf Unterschutzstellung der Linden als Naturdenkmal bzw. als Denkmal beim Landratsamt Weilheim-Schongau gebeten. Die Unterschutzstellung als Naturdenkmal wurde rasch abgelehnt.

 

Bäume nur 4 Tage unter Denkmalschutz

 

Eine gleichlautende Anfrage auf Prüfung als Denkmal ging aber zeitgleich auch an das Landesamt für Denkmalpflege in München, das noch im alten Jahr mit Dr. Detlef Knipping einen Vertreter zur Ortsbesichtigung nach Penzberg schickte. Dessen Antwort aus München vom 23. Februar 2024 stellte klar, dass die beiden Mordopfer-Bäume schützenswert nach Art. 1 BayDSchG seien und ohne Einbindung der Behörde nicht umgeschnitten werden dürften.  Eine geplante Beseitigung oder Veränderung nach Art. 6 BayDSchG sei erlaubnispflichtig. Das Landesamt habe diesbezüglich den Fall an die Untere Denkmalschutzbehörde beim Landratsamt Weilheim-Schongau delegiert.

Damit schien der Bestand der nun denkmalgeschützten Bäume gesichert. Denn nach dem „Verhältnismäßigkeitsgrundsatz“ ist eine Verletzung geschützter Rechte (hier dem Denkmalschutz) nur zulässig, wenn dies unbedingt notwendig ist. Dass eine Lösung mit geringeren Eingriffen – Astschnitt oder Baumschutzgitter – möglich gewesen wäre, hatte das Gutachten von Dr. Melka-Müller aber belegt.

 

Imaginäre „Gefahr im Verzug“

Denkmalschutz aufgehoben

 

Doch in aller Eile lässt die Stadt um die betreffenden Bäume herum rot-weiße Absperrgitter großräumig aufstellen, um die Bürger vor der drohenden „Gefahr im Verzug“ durch herabfallende Äste oder Schlimmerem zu schützen.

Nachdem der gesamte Sommer 2023, in dem man sich über die Konsequenzen eines Gutachtens hätte Gedanken machen können, vertrödelt worden war und die Genehmigung zur Begutachtung sich nochmal einen Monat lang hinzog, war nun übergroße Eile geboten.

Wegen der angeblichen Notwendigkeit weiterer Straßensperrungen (der Hauptstraße an der Hauptkreuzung!) und  weiterer imaginär konstruierter Gefahren im Verzug folgt die Ausnahmegenehmigung zur Fällung aus dem Landratsamt auf dem Fuß und in einer für eine Behörde nie gekannten Schnelligkeit. Am selben Tag werden die Bäume umgeschnitten.

In den folgenden Tagen legten Bürger Blumen an den Stümpfen der abgesägten Bäume ab und zündeten Grabkerzen an. Ein anonymer Schreiber traf mit einem Zettel „den Nagel auf den Kopf“: „Voll im Trend, in Zeiten des Wiederaufkommens des Rechtsextremismus werden Zeitzeugen des Widerstands 1945 einfach umgesägt“.

 

 

 

 

 

 

 

Die Trauerbekundungen sowie die Baumstümpfe werden rasch entfernt, die Stellen mit Kies aufgefüllt.

Ob die Stadt die nicht unerheblichen Kosten für die Baumfällungen überhaupt bezahlen kann, ist eine andere Frage. Es besteht nämlich wegen der Schulden der Stadt eine Ausgabensperre und vor jeglicher Kreditaufnahme muss eine Haushalts-Konsolidierung vorgenommen werden.

Die Stadt hat sich mit diesen Baumfällungen selber einer einmaligen Chance beraubt, auf lange Sicht (vielleicht ein paar Jahrzehnte oder mehr – siehe Wessobrunner Tassilo-Linde) ein stummes Denkmal an die barbarische menschenverachtende Untat der mörderischen Nazi-Werwölfe mitten in der Stadt zu erhalten.

Ein ehemaliger Penzberger Bürger hat eine großzügige Spendenzusage über 10.000 Euro gemacht für ein Denkmal nach den Vorstellungen des Denkmalvereins. Ob aus den gefällten Stämmen ein Kunstwerk geschaffen wird, das an diesem Platz als „Ersatz-Denkmal“ dienen könnte, wird die Zukunft zeigen.